Vom Abschied nehmen

Die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck besucht die Claus-von-Stauffenberg-Schule in Rodgau

Ihr Buch „Heimsuchung“ zählt zur Pflichtlektüre im hessischen Abitur wie auch fast in allen Bundesländern. Die gefragte Schriftstellerin aus Berlin warGast an der Claus-von-Stauffenberg-Schule in Rodgau.

von Hans Rubinich

Montag 23-September 24 vormittags. Zur Autorenlesung sind 250 Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern gekommen. Mit dabei sind auch die Oberstufe der Paul-Gerhardt in Hanau. Schulleiterin Dagmar Emmerich von der Claus-von-Staufenberg-Schule und Schulleiter Martin Forchheim von der Paul-Gerhardt-Schule in Hanau eröffnen Veranstaltung.

Dann liest Jenny Erpenbeck aus ihrem Buch „Heimsuchung“. 12 Lebensgeschichten eines deutschen Jahrhunderts werden in diesem Roman erzählt. Berichtet wird auch über die Geschichte und das Leben in der ehemaligen DDR. Jenny Erpenbeck ist dort groß geworden.

Ihr Buch kreist um zwei große Themen: „Heimat“ und „Vergänglichkeit“. Die Schülerinnen und Schüler wollen wissen, was es für sie heiße, Abschied zu nehmen von Freunden, von gewohnten Umgebungen, und was es für sie bedeute, wenn am Ende nur noch Erinnerungen blieben.

Jenny Erpenbeck geht darauf ein. Es wird deutlich, wie sehr die Autorin das Thema beschäftigt. Wie sehr ihre Geschichten und was sie selbst erlebt hat, von Trauer und Abschied geprägt sind. Und sie erklärt, wie schwer es sei, mit Verlusten umzugehen,

Besonders still wird es in der Aula, als die Autorin auf die Recherche zu ihrem Buch eingeht. Sie berichtet, wie sie bald vier Jahre lang Archive durchstöbert und Plätze aufgesucht habe. Dabei sei sie auf Briefe und Dokumente gestoßen, deren Inhalte sie sehr bewegt hätten.

Dazu zählten auch die Briefe eines jüdischen Mädchens, das von seinen Eltern getrennt leben musste. Seine Geschichte findet sich in dem Roman von Jenny Erpenbeck wieder. Was dieses Mädchen erleiden musste, wie es sich vor seinen Mördern zu verstecken versuchte und am Ende noch entdeckt wird, zählt zu den bewegtesten Kapiteln des Romans.

Zwei Minuten lang spürt sie den Sand unter den Schuhen, auch ein paar kleine Feuersteine und Kiesel und Quarz oder Granit, bevor sie die Schuhe für immer auszieht und sich auf das Brett stellt, um sich erschießen zu lassen.““

Bewegt habe sie auch, so Jenny Erpenbeck, wie jüdischen Familien ihr Eigentum abgenommen wird, bevor sie deportiert und umgebracht werden. Alles sei auf Listen festgehalten worden und diese fänden sich später wieder, wenn das Eigentum an Deutsche versteigert wird.

Die Lesung heute verläuft vielleicht etwas anders als andere Lesungen. Jenny Erpenbeck plant zunächst mehr aus ihrem Buch vorzulesen. Doch dazu kommt es nicht. Die Neugier und die Fragen der Schülerinnen und Schüler verwandeln die Lesung schon bald in einen sehr spannenden Austausch, der fast über drei Stunden geht.

Jenny Erpenbecks Bücher sind bei uns noch nicht bekannt. Im Ausland wird sie derzeit als die (!) deutsche Autorin gefeiert. So geschehen vor ein paar Wochen im Londoner Kunstmuseum „Tate Modern“. Hier wird im Mai einer der wichtigsten Literaturpreise vergeben: Der Interanational Booker Prize. Und die Siegerin 2024 heißt Jenny Erpenbeck. Ausgezeichnet wird sie für ihren neuen Roman „Kairos“.

Jenny Erpenbeck ist nun die erste deutsche Autorin, die diesen Preis zusammen mit ihrem Übersetzer Michael Hofmann gewonnen hat. Er gilt als Vorstufe für den Literatur-Nobel-Preis. Und nicht wenige gehen davon aus, dass Jenny Erpenbeck eine Kandidatin für diesen Preis sein könnte.

Sie lächelt, als sie darauf eingesprochen wird, so als könne sie sich das gar nicht vorstelle. Und vielleicht ist es ihre Bescheidenheit, die heute Morgen dazu beiträgt, die Schülerinnen und Schüler in ihren Bann zu ziehen. Jenny Erpenbeck ist keine glamouröse Schriftstellerin, sie ist eher jemand zum Anfassen. Das wird auch deutlich, als sie am Ende die Bühne verlässt und auf einen kleinen Tisch zusteuert. Dort spricht sie weiter mit Schülerinnen und Schülern und signiert mitgebrachte Bücher und Unterrichtsmaterialen.

Ihr neues Buch, so verrät sie am Schluss, gehe über ihren Vater. Wobei, so räumt sie ein, es manchmal auch Momente gebe, in denen ihr Schreibfluss etwas leide. Für ihren Mann sei das nicht neu. Er muntere sie dann auf mit den Worten: „Hab mal deine Krise, morgen geht es natürlich weiter. Für die Schülerinnen und Schüler der beiden Schulen geht es nun auch weiter mit viel Freude was aus ihren Gesichtern gut abzulesen ist.